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Künstliche Intelligenz in der Fertigungsindustrie: Gegenwärtige und zukünftige Chancen

15.10.2020 - Industrie 4.0, Produktion, Technologie, Künstliche Intelligenz

© ipopba/iStock
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Immer öfter ist von „Industrial Intelligence“ die Rede. Allein die Verwendung dieses Begriffs belegt, dass Künstliche Intelligenz in der Industrie angekommen ist. Für diese Entwicklung sind u. a. Software-Frameworks wie TensorFlow von Google oder Microsofts Cognitive Toolkit verantwortlich. Denn sie erleichtern die Integration in Anwendungen erheblich und tragen Sorge dafür, dass KI nicht mehr nur ein Expertenthema, sondern „ingenieurstauglich“ und damit in der Praxis angekommen ist. Das zeigt auch der folgende Blick in die IT-Welt der Fertigungsindustrie.

ERP & MES: Neue Planungsoptionen für die Erfüllung individueller Kundenwünsche

ERP-Systeme sind der Backbone der Kundenauftragsbearbeitung - auch in der Smart Factory. Immer enger rücken jedoch die Business- und Shopfloor-Ebene zusammen. So verlängern MES die Reichweite der ERP-Systeme teilweise bis in die konkreten Fertigungsabläufe und liefern die notwendigen Informationen zum Fortschritt, zu produzierter Qualität oder auch den Betriebsdaten einer Fertigungszelle oder Station. Mit dem wachsenden Aufkommen der so ermittelten Daten eröffnen sich erweiterte Möglichkeiten, um wertschöpfende Prozesse zu beeinflussen.

Es geht nicht mehr nur um Post-Mortem-Analysen, sondern um die Vorhersage von Zuständen, Störungen oder der produzierten Menge zu einem Termin.

Mittlerweile stehen hierfür konkret anwendbare und praxiserprobte Technologien wie Fuzzy Logik oder neuronale Netze zur Verfügung. Durch multikriterielle Optimierungen in den Feinplanungswerkzeugen kann die Einplanung von Aufträgen nicht mehr nur grafisch unterstützt oder automatisch erfolgen. Vielmehr liefern die Technologien vollkommen neue Planungsoptionen und ermöglichen einen erweiterten Regelkreis, der vier Schritten folgt:

  1. Vorhersage
  2. Optimierung
  3. Wirkung
  4. Analyse

Im Fokus der Planung steht die Erfüllung der flexiblen und individuellen Kundenwünsche – und zwar ohne neue Kosten zu verursachen oder Qualitätsabstriche machen zu müssen.

Lieferkettenmanagement: Optimierte Entscheidungen treffen trotz schnellen Wandels

Die Umgebungsbedingungen für eine verlässliche Produktionsplanung unterliegen immer stärkeren und schnelleren Veränderungen. Zur Beschreibung dieser schwierigen Rahmenbedingungen der Unternehmensführung hat die Wirtschaft den Begriff „VUCA-World“ adaptiert.

Wofür steht VUCA?

Der Begriff diente ursprünglich dazu, die multilaterale Welt nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben. VUCA steht für Volatilität (volatility), Unsicherheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Mehrdeutigkeit (ambiguity).

Kurzum: Entscheidungen müssen zukünftig immer mehr unter unsicheren bzw. sich schnell ändernden Rahmenbedingen getroffen werden. Welche Auswirkungen das haben kann bzw. wie verletzlich Lieferketten mitunter sind, hat sich nicht zuletzt in der noch immer andauernden Corona-Pandemie gezeigt.

Das Zwischenfazit: Stärker denn je muss die Kundenauftragsabwicklung jene Bedingungen beherrschen. Die Vielzahl der Parameter und komplexen Abhängigkeiten untereinander machen es jedoch schwierig bzw. unmöglich, schnell und fundiert Entscheidungen zu treffen. Genau hier können KI-Algorithmen unterstützen. Mit der mittlerweile möglichen Verarbeitungsgeschwindigkeit lassen sich bspw. Störgründe in Echtzeit ermitteln oder sogar Unterbrechungen im Ablauf vorhersagen.

Automatisierung von Abläufen: Anwender von Routineaufgaben entlasten

Auch im Umfeld der wissensbasierten Automatisierung von Abläufen wird nach und nach Realität, was vor nicht einmal zwei oder drei Jahren kaum vorstellbar war: So haben Robotic Prozess Automation (RPA) oder Cognitive Prozess Automation (CPA) Eingang in Geschäftsanwendungen gefunden. Workflow-Management-Systeme sind vielfach schon Bestandteil moderner ERP- und MES-Lösungen. Die nächsten Schritte sind nicht mehr weit:

  • Konsequent aus den Abläufen lernen,
  • Eingaben vorschlagen und
  • Anwender auf diese Weise von Routinearbeiten entlasten.

Selbstverständlich sind hingegen seit langer Zeit Systeme zur Auswertung von Belegen und der automatisierten Erzeugung von Buchungen für Material oder Rechnungen. Die verfügbare Technik ist zuverlässig – der Nutzen groß. Denn sie trägt zu wirksamen Vermeidung von Fehlern und zu einer Beschleunigung der Abarbeitungszeit bei.

Fähigkeitsbasierte Produktionssteuerung: Selbstlernende Systeme lösen komplexe Aufgabenstellungen

Eines der Kernelemente zur Beschreibung der Ära „Industrie 4.0“ ist der Begriff der Wandelbarkeit. Damit ist gemeint, dass sich Produktionssysteme dynamisch auf Anforderungen der Produkte an den Prozess anpassen und geeignete Ressourcen „konfigurieren“ (bzw. bestehende Ressourcen „wandeln“).

In diesen Prozess gehen eine Vielzahl von Eigenschaften der Fertigungstechnik, Anforderungen der Produkte und ggf. sogar noch kommerzielle Anforderungen ein. Die Aufgabenstellungen sind folglich komplex – und auch hier die Anwendung von KI ein denkbarer Lösungsweg. Worauf es ankommt: Die intuitive Unterstützung von Nicht-Experten bei der Beurteilung der verschiedenen Situationen.

Zur Bestimmung der bestmöglichen Konfiguration und Ausstattung der Produktionsanlage ist bspw. der Einsatz selbstlernender Algorithmen ein mögliches Lösungsszenario.

Bilderkennung und Montageüberwachung: Mehr Zeit für wertschöpfende Tätigkeiten

Die Bilderkennung und -analyse ist an sich nicht neu. Doch durch massiv gesteigerte Rechenleistungen eröffnen sich ganz neue Einsatzbereiche. Dabei sind die

  • Lageüberwachung von Montageteilen auf automatischen Zuführungen oder 
  • die Erkennung unterschiedlicher Produkte und
  • die anschließende Sortierung

nur einige Beispiele. In der Montage lässt sich darüber hinaus z. B. die Vollständigkeit von Baugruppen oder Erzeugnissen überwachen. Denkbar ist auch eine

  • automatisierte Überwachung der Anordnung und Lage von Kennzeichnungen,
  • Labeln oder
  • Gefahrenhinweisen auf Gehäusen und an Fahrzeugen.

In Zusammenspiel mit den Auftragsabwicklungssystemen wird eine genaue Prüfung der Vollständigkeit oder Kennzeichnung auf Einzelstückebene möglich. Das Ergebnis: Fehlerraten sinken und die Mitarbeiter können sich auf die wertschöpfenden Tätigkeiten konzentrieren.

KI-basierte Systeme vergleichen automatisch die erkannten Muster mit den Auftragsdaten und identifizieren zuverlässig Abweichungen.

Ausblick: Für eine sinnvolle Durchdringung bedarf es Erfahrungen und Vertrauen

Die aufgeführten Beispiele umreißen nur einen kleinen Bereich der Fertigungssteuerung und eigentlichen Produktion unter dem Aspekt eines möglichen Einsatzes von KI. Auch die zunehmende Ausbreitung von IoT-Geräten und -Anwendungen führt nochmals zu einem Sprung bei der Verfügbarkeit von Prozess- und Produktdaten bei der Herstellung und in der Nutzungsphase.

Weitere Bereiche mit Einsatzmöglichkeiten für KI

  • Energiemanagement
  • Kreislaufwirtschaft
  • Vorhersage (Prädiktion) von Qualitätsdaten (Echtzeit-Qualitätsmanagement)
  • Vorhersage von Maschinenausfällen

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die physische Produktionswelt mehr und mehr mit der virtuellen, cyberphysischen Welt interagiert und neue oder verbesserte Geschäftsmodelle ermöglicht. Simulationen auf der Basis von Vorhersagen heben die damit möglichen Resultate einer Planung auf ein neues Level.

Insbesondere muss es gelingen, Vertrauen in die Anwendung zu schaffen. Letztlich geht es nicht darum, alles komplett zu verstehen, sondern zu vermitteln, dass die Ergebnisse „angemessen“ und „vertrauenswürdig“ sind.

Trotz aller Fortschritte bei der Implementierung von KI-basierten Lösungen im Produktionsumfeld ist es noch ein weiter Weg bis zu einer angemessenen und sinnvollen Durchdringung von Prozessen und Anwendungen. Die Einführung der Technologie sollte noch immer schrittweise erfolgen. Auf diese Weise lassen sich Erfahrungen sammeln und Fehler vermeiden.

Erfahren Sie mehr zum Thema ERP-Systeme und Künstliche Intelligenz in industriellen Anwendungen. Für weiterführende Informationen kontaktieren Sie uns gerne per E-Mail oder Telefon.

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Karl Tröger

Business Development Manager PSI Automotive & Industry GmbH

Seit mehr als 20 Jahren ist Karl Tröger bei der PSI Automotive & Industry. In dieser Zeit hat er sich mit allen Aspekten von ERP-Software befasst und war in führenden Positionen in Entwicklung, Beratung und Marketing tätig. Heute versteht er sich als Bindeglied zwischen Kunden, Markt, Wissenschaft sowie Software-Entwicklung und Marketing. Der Diplom-Ingenieur der Elektronik und Nachrichtentechnik ist an der von der Bundesregierung initiierten Plattform Industrie 4.0 beteiligt und veröffentlicht regelmäßig vielbeachtete Publikationen über die Zukunft von fertigungsnaher Software.

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